Freundschaftsquilts sind nicht nur kunstvolle Handarbeiten, sondern auch textile Zeugnisse einer tiefen Tradition der Verbundenheit und des Andenkens. Besonders im 19. Jahrhundert, einer Zeit intensiver Migration und gesellschaftlichen Wandels in den USA, spielten sie eine wichtige Rolle als Symbol der Freundschaft und als greifbare Erinnerung an geliebte Menschen. Diese Tradition fand auch bei vielen Einwanderergruppen Anklang, darunter höchstwahrscheinlich auch bei den Deutsch-Amerikanern.
Die Wurzeln einer Tradition
Die Tradition der Freundschaftsquilts lässt sich bis in die 1840er Jahre in den Vereinigten Staaten zurückverfolgen, eine Zeit, in der auch Autogrammbücher sehr beliebt waren. Man könnte Freundschaftsquilts als eine textile Version dieser Bücher betrachten. Frühe Zentren dieser Bewegung waren Städte wie Philadelphia, Baltimore und New Jersey, wie bei World Quilts nachzulesen ist. Auch wenn die Popularität in diesen Regionen Mitte des 19. Jahrhunderts nachließ, breitete sich die Tradition in anderen Teilen der USA weiter aus.
Ein Werk der Gemeinschaft
Ein Freundschaftsquilt ist ein Gemeinschaftswerk. Freunde, Verwandte, Kollegen oder Gemeindemitglieder gestalteten und signierten einzelne Stoffquadrate. Oft wurden Stoffreste oder Materialien mit besonderer Bedeutung verwendet. Diese Quadrate, oft versehen mit Namen, Daten, kleinen Versen oder Widmungen, wurden dann zu einem größeren Ganzen zusammengefügt. Dies unterstreicht die Bedeutung von Gemeinschaft und Zusammenhalt – Werte, die in vielen Kulturen, einschließlich der deutsch-amerikanischen, eine große Rolle spielen.
Anlässe und Formen
Freundschaftsquilts wurden zu den unterschiedlichsten Anlässen angefertigt: als Abschiedsgeschenk, Hochzeitsgeschenk, zur Ehrung einer Person oder einfach als Erinnerung. Antique Quilt History beschreibt verschiedene Formen, darunter Präsentationsquilts, Hochzeitsquilts und „Freedom Quilts“, die jungen Männern zum 21. Geburtstag geschenkt wurden. Auch Fundraising-Quilts waren verbreitet, mit denen Spenden, meist für Kirchen, gesammelt wurden.
Signaturen im Wandel der Zeit
Die Art und Weise, wie die Quilts signiert wurden, änderte sich im Laufe der Zeit. Während im 19. Jahrhundert meist unauslöschliche Tinte verwendet wurde, kam im 20. Jahrhundert vermehrt Stickerei zum Einsatz. Die Gestaltung der Quilts reichte von einfachen Mustern bis hin zu aufwendigen Applikationen. Oftmals fanden Stoffreste mit persönlicher Bedeutung Verwendung, beispielsweise Stoffe aus Brautkleidern, wie im Artikel Friendship Quilts von The Journal of Antiques and Collectibles erläutert wird.
Die Ripley-Quilt: Ein Fenster zur Vergangenheit
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für einen Freundschaftsquilt ist die Ripley-Quilt aus den Jahren 1851-1855, die im National Museum of American History aufbewahrt wird (Ripley Family’s Quilt). Dieser Quilt wurde für Lucy Arabella (Holton) Ripley angefertigt, als sie mit ihrer Familie von Massachusetts nach Wisconsin zog. Die zahlreichen Inschriften und Verse auf dem Quilt zeugen von der tiefen Verbundenheit der Familie mit ihren Freunden und der emotionalen Bedeutung, die der Quilt für sie hatte.
Botschaften der Freundschaft
Die Ripley-Quilt ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wichtig persönliche Botschaften auf Freundschaftsquilts waren. Adaline Swan aus Northfield, Massachusetts, schrieb im Jahr 1851 die folgenden Zeilen auf ihren Block: „The storm-cloud comes o’er the autumn sky / And the flow’rets in their beauty die, / But friendship true, is an ever green. / That decayeth not ‘neath a sky serene“. Dieses Zitat aus dem Gedicht „True Friendship“ von James Aylward verdeutlicht die emotionale Tiefe, die mit Freundschaftsquilts verbunden war.
Das deutsch-amerikanische Erbe
Es ist sehr wahrscheinlich, dass deutsche Einwanderer die Tradition der Freundschaftsquilts aufgriffen und an ihre eigene Kultur anpassten. Themen wie Migration, Abschied von der alten Heimat und der Neuanfang in einem fremden Land waren für sie von zentraler Bedeutung. Freundschaftsquilts boten eine Möglichkeit, diese einschneidenden Erfahrungen zu verarbeiten und gleichzeitig die Verbindung zur alten Heimat und zu den mitgereisten Freunden und Verwandten aufrechtzuerhalten.
Verbindung zur alten Heimat
Das gemeinsame Quilten, oft im Rahmen von „Quilting Bees“, konnte den deutschen Einwanderern auch dabei helfen, neue soziale Netzwerke in ihrer neuen Umgebung aufzubauen und sich in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren. Diese Treffen waren wichtige soziale Ereignisse, bei denen Frauen – und manchmal auch Männer und Kinder – zusammenkamen, um zu quilten und sich auszutauschen. Quilting Bees boten eine Plattform für Geselligkeit und gegenseitige Unterstützung, ähnlich den in Deutschland verbreiteten Kaffeekränzchen. Gerade in ländlichen Gebieten, in denen sich viele Deutsch-Amerikaner niederließen, konnten Quilting Bees die Integration fördern und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit schaffen.
Mögliche Merkmale deutsch-amerikanischer Quilts
Obwohl konkrete Belege für spezifisch deutsch-amerikanische Freundschaftsquilts schwer zu finden sind, ist es naheliegend, dass deutsche Einwanderer die Tradition an ihre eigenen kulturellen Hintergründe anpassten. So könnten ihre Quilts Motive aus der alten Heimat, deutsche Sprüche oder Redewendungen, oder auch Stoffe enthalten haben, die sie aus Deutschland mitgebracht hatten. Vielleicht finden sich auf solchen Quilts auch Verzierungen, die an traditionelle deutsche Handarbeiten wie Kreuzstich oder Klöppeln erinnern.
Ein bleibendes Erbe der Verbundenheit
Freundschaftsquilts sind weit mehr als nur historische Textilien. Sie sind lebendige Zeugnisse von Freundschaft, Gemeinschaft und Erinnerung. Sie erzählen uns Geschichten von Menschen, die ihre Heimat verließen, neue Bindungen knüpften und versuchten, ein Stück ihrer alten Welt in der neuen Heimat zu bewahren. Die Tradition der Freundschaftsquilts, insbesondere im deutsch-amerikanischen Kontext, erinnert uns daran, wie wichtig es ist, zwischenmenschliche Verbindungen zu pflegen, die Geschichten unserer Vorfahren zu würdigen und die kulturelle Vielfalt zu schätzen. Auch wenn die Tradition in ihrer ursprünglichen Form heute weniger verbreitet ist, lebt die Idee, persönliche Botschaften und Erinnerungen in Textilien festzuhalten, in vielfältiger Weise weiter. Zukünftige Forschungen könnten sich verstärkt der Frage widmen, wie sich die Tradition der Freundschaftsquilts in verschiedenen Einwanderergruppen, einschließlich der deutsch-amerikanischen, manifestiert hat und welche spezifische Rolle sie im Prozess der Integration und des kulturellen Austauschs spielte.